Art This Way

 

Der 1952 in Wien geborene und seit 1992 im niederösterreichischen Pressbaum ansässige Robert Zahornicky gehört zweifelsohne zu den wichtigen Fotokünstlern Österreichs. Anfang der 1970er Jahre begann er autodaktisch zu fotografieren und entschied sich 1987 für die freiberufliche Tätigkeit als Künstler. In seiner Arbeit geht es dem gelernten Schriftsetzer immer um die Frage nach Wirklichkeit, um Fragen nach der menschlichen Wahrnehmung und ihrer Manipulierbarkeit. Hier nimmt der Begriff der Unmittelbarkeit eine zentrale Rolle ein: Er als Fotograf sieht sich mitten im Geschehen, hält Dinge fest, die ihm relevant erscheinen, ist bei Prozessen und Geschehnissen unmittelbar dabei, dokumentiert und inszeniert. In seinen Werkgruppen und Fotoserien haben wir es mit unterschiedlichsten Themen zu tun. Schwerpunkte setzt der Künstler in den Bereichen Natur und Urbanität, unberührte Landschaft und der vom Menschen kultivierten Natur.

 

Zahlreiche Stipendien führten Zahornicky in den Jahren seiner künstlerischen Laufbahn nach New York City, Rom, Paris oder London, unterschiedlichste Preise von Land und Bund sind ihm verliehen worden. Mit dem diesjährigen Würdigungspreis für Medienkunst – Künstlerische Fotografie zeichnet das Land Niederösterreich Zahornicky für sein künstlerisches Gesamtwerk aus. Die Preisverleihung findet am 7. November um 19 Uhr 2014 im Festspielhaus St. Pölten statt, wo auch alle weiteren jährlichen Auszeichnungen für besondere Leistungen in Kultur und Wissenschaft vergeben werden. Ausgewählte Arbeiten der PreisträgerInnen aus den Bereichen Bildende Kunst und Medienkunst werden im Rahmen einer Ausstellung im DOK Dokumentationszentrum für Moderne Kunst St. Pölten vom 21. November 2014 bis 4. Januar 2015 präsentiert. Von Zahornicky wird unter anderem die vierteilige Fotoarbeit “Art This Way“ zu sehen sein, die 2001 in New York entstanden ist. Zahornicky setzt an einem Bauzaun angebrachte Hinweistafeln fotografisch in Szene, die die Besucher des Brooklyn Museums sicheren Fußes vom Parkplatz in die Ausstellungsräume geleiten sollten. Man kann sich kaum sicher sein: Handelt es sich um eine Kunstaktion oder lediglich um ein Besucherleitsystem? Weiters stellt Zahornicky eine 54 Polaroidfotos umfassende Arbeit aus, die mehrere Szenen unterschiedlicher Popkonzerte zeigt. Wie von einem Standbild eines alten VHS- Videorecorders abfotografiert muten die Aufnahmen an, die Mitschnitte von Auftritten B.B. Kings oder Stefan Weber mit seiner Band Drahdiwaberl festhalten. Möglicherweise schwingt hier des Künstlers eigene Biografie mit, spielte Zahornicky doch selbst jahrelang in einer Band Schlagzeug.

 

„Zahornicky trägt Licht ins Dunkel: fotografisch.“, hat der österreichische Schriftsteller Manfred Chobot einmal über den Künstler geschrieben. Und tatsächlich vermeidet Zahornicky marktschreierisches Blockbustergehabe und Oberflächlichkeiten, die auf eine bloße plakative ästhetische Dimension abzielen. Hingegen möchte er Sachverhalte, Geschichten und Geschichte, Gegenwart und Vergangenheit immer in einem differenzierten Licht betrachtet wissen und wagt einen gezielten Blick hinter die Dinge.

 

Art this Way, Hartwig Knack, 2017

 

Die Bildgeschichte als Satire

 

Ein Versuch, die vielfältigen Möglichkeiten der künstlerischen Fotografie nach ihren prinzipiellen Ansätzen zu differenzieren, könnte etwa aus der Überlegung geschehen, ob das Bildmotiv ein vorgefundenes, vom geschulten Auge erkanntes ist oder ob erst der Künstler sich dieses Motiv schafft, es arrangiert oder inszeniert.

 

Quantitativ dominiert in der heimischen Fotoszene eher das "schöne Bild" an sich, die Suche nach einer vorhandenen, bisweilen nur verborgenen Ästetik, die es mit der Kamera aufzuspüren gilt. Auch diese Gruppe der weit verbreiteten "Sammler" gehört in diese Kategorie, wendet sich doch ihr Interesse mit mehr oder minder kritischem Tiefgang der Typologie von Alltagsphänomenen zu. Man sammelt Erscheinungsformen von Fördertürmen oder Hochsitzen, Funeralplastiken, Wahlplakaten oder Vogelscheuchen, und erst in der Gesamtschau dieser Themen kann sich eine gewollte oder zielgerichtete Aussage ergeben.

 

Noch viel uferloser sind die Möglichkeiten für den Fotografen, der seine eigenen Bilder, einzelne oder ganze Serien, selbst inszeniert. Robert Zahornicky hat diesen Weg gewählt. Seine Fotografie entspricht primär einer Denkleistung, nicht einem optischen Erkennen, wobei seine künstlerischen Grundprinzipien sehr unterschiedlich sein können.

 

Zahornicky hat mit Elementen der Fotocollage gearbeitet und dabei den Betrachter zu irritieren versucht, er hat sich auch - und darin liegt in besonderem Maße seine individuelle künstlerische Leistung - als Erzähler von Bildgeschichten hervorgetan. Zahornicky ist jedoch weit davon entfernt, banale Storys in fotografierte Comic Strips umzusetzen. Vor allem sitzt ihm ein Schalk im Nacken, der seine subjektiven Interpretationen kultureller Phänomene der Vorgeschichte vom trockenen ernst neumodischer Mythenforscher und Archaiker wohltuend distanziert.

 

Wolfgang Hilger im morgen Nr. 40/1985

 

Shredder und Ecken

 

Robert Zahornicky hat in seiner Serie "Shredder" 2002 vom Papierwolf erzeugte Streifen und Gewölle aus Büchern, Zeitungen und Korrespondenzen photographiert und dabei Schrift- und Sprachbruchstücke im Vordergrund sichtbar gemacht - 2005 ist es schließlich der nur mehr für spezielle Interessenten wichtige Börsenteil der Neuen Zürcher Zeitung und das Amtsblatt der Wiener Zeitung. Aus lesbaren Fragmenten kann im Fall des Preßbaumer Telefonbuchs mit "ahornic" ein Namensteil des Künstlersund damit die eigene Signatur und der Verweis auf seinen Wohnort erkundet werden, aber er gibt uns auch Hinweise auf Goethes zerstückelten "Faust".

Die Tonnen an Papierschnipsel wurden danach in einen viereckigen Block gepresst: Zahornicky installierte den Papierblock für die Zeit einer Ausstellung in die Nationalbibliothek in Wien: wieder ging es um eine "als ob"-Umwandlung und Aufbewahrung festgeschriebener und verzeichneter Namen, Begriffe, Symbole, Ziffern, die auf Orte verweisen, aber auch auf ihren Verlust. Das Verlorene bleibt mit anderen Mitteln erhalten: fast könnte das eine Paraphrase über digitale Technik der Fotografie sein, die neuerdings auch alte Filme, Fotos und Videos auf neuen Datenträgern aufbewahrt.

 

Doch im Bewahren geht etwas verloren, daran möchte uns der Künstler erinnern. Den Drang ewig zu bewahren nennt die Wissenschaft nach der ersten großen Bibliothek der Antike "Alexandrinismus". Es ist als würde Zahornicky solche neuen Kunst-Bibliotheken aus den alten konstruieren: er macht Ecken in flach fotografierte Regalwände, hat aber auch die real vorhandenen Ecken aufgenommen (in Nationalbibliothek und NÖ Landesbibliothek von St.Pölten), die neue Blicke ermöglichen. Durch Auseinanderschneiden einer Ecke oder deren Neukonstruktion widmet er sich genüsslich dem mit der Architektur verbundenen Aufspüren jener "gezwängten Winkel", die Gaston Bachelard schon 1975 als "die gemeinsten aller Zufluchsstätten" bezeichnete.

 

Der Blick aus der Landesbibliothek durch ein Fenster - rechts ein Regal - lässt "Winkelleser abschweifen" in die Richtung "Geschichtsspuk in allen Ecken", gefolgt von dem Wunsch nach "Abschaffen der explosiven Spannung zweier wettstreitender Wände". Was bleibt ist Restmystik im postindustriellen Informationszeitalter, aber auch Verweigerung. Außen könnte eine Straße, ein Kreuz, Glasfassaden den "Ernst des Lebens" bedeuten, innen könnte der "Schmollwinkel" des Einsamen erhalten bleiben und dieser ist immer noch der Künstler oder als Wissenschaftler der Bewohner des verstaubten Elfenbeinturms (nicht ohne Bibliothek). Die Realitäten sind in Eckaufnahmen abgebildet, damit erschließt sich ein komplexes Universum, das mit dem Medium Fotografie das verzeichnete und damit gespeicherte Wissen festhält – für den Moment, in dem auch die Ecke als Kunst begreifbar wird. Wissenschaft und Kunst waren auch schon vor der Photographie eine Einheit, insbesondere ab dem Zeitpunkt, in dem Bild zur Sprache wurde. Bis Babylon und zurück können Betrachterinnen und Betrachter gedanklich wandern, aber nicht vor diese Sprachverwirrung, denn das Urhaus, die Yurte, war ein Rundzelt ohne Ecken.

 

Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Wiener Zeitung

 

Über Rasenstücke, gestrickte Rosen und Wurzelballen

 

Robert Zahornicky beschwört die menschenlosen Urwelten oder die noch zu erobernden Planeten mit seinen leeren Landstrichen Islands oder der Ostseestrände, die allein von Wassern, Algen und kleinen Sanderhebungen bewohnt sind. Eine scheinbar erst in Entstehung begriffene Erde, aber auch schon ein Rückblick auf die elementare Frühgeschichte und ein Verweis auf die Zerstörung durch die Hochzivilisation des Industriezeitalters. Auch hier herrschen alte aristotelische und platonische Naturvorstellungen, das Unscheinbare wird wesentlich. Vogelperspektive, veränderte Belichtung und besonders Strahlen - partiell - machen die rätselhafte Erscheinung dieser Fotos aus, die einen Vergleich mit der „Innenlandschaft“ des Filmemachers Tarkowskij durchaus zulässig machten. Doch herrscht auch eine eigenwillige Musikalität vor, die den Betrachter erfasst, Stille hörbar macht und sich sogar bis in Rauschen-Hören steigern kann.

 

Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Wiener Zeitung, 4. Jänner 1995

 

Naturwissenschaft als Fotokunst

 

Nach den Strukturuntersuchungen der neunziger Jahre hat sich Robert Zahornicky von 1998 bis 2002 der Isolation von einzelnen Pflanzen mit ihren Wurzelballen gewidmet - als Art Paraphrase von Dürers Rasenstück-Aquarell, das in der Albertina lagert. Zuletzt wurden die in klinischen Weiß des Atelierlichts isolierten Hanfbüschel, Margeriten oder Unkrautgewächse sogar mit künstlichen, teils gehäkelten Atrappen von Mohn und kleinen Glocken und Röschen ersetzt. Nahsichtig und scharf, auf glänzendem Papier, wirken diese Naturbrocken wie Herbarien, wie Einsichten in dreidimensionale oder gepresste Glaskästen. Der Täuschungseffekt vermag die Frage nach der Verfälschung oder Verstörung unseres Naturverhältnisses noch einmal kritisch zu erneuern. Trompe l’oeil und Zitate von Dürer über Sibylla Merian bis Anita Albus verweisen aber auch auf eine Selbstbefragung des Mediums Fotografie, in Rückblendung auf die Malerei, die bei Zahornicky zuweilen auch ironischer Faktoren bergen können, wenn er Großaufnahmen von zerhechselten Büchern (Goethes Faust bis zu pornografischen Heften) vor die Linse nimmt. In einer dritten Serie widmet sich der Künstler den schäbigen Untergrundgängen in New York; die großen schwarz-weiß-Abzüge werden - dem Thema entsprechend - ohne Rahmen direkt an die Wand geheftet. Der Mensch ist in dieser abgenützten, teils baufälligen Gebrauchsarchitektur wesenlos.

 

Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Wiener Zeitung, 24. Dezember 2002

 

Weltenbilder / Bilderwelten

 

Nicht der Anblick einer Sache ist wichtig,

sondern die Vorstellung von ihr.

Walter de Maria

 

„Puzzle“ betitelt Robert Zahornicky eine Polaroid-Photoserie, mit der er 1983 erstmals in Form einer Ausstellung und Publikation an die Öffentlichkeit trat. Der Titel ist hinsichtlich der Vielfalt und Polyvalenz ein Synonym für das bis heute geschaffene Werk geworden. Das betrifft sowohl das thematische als auch das mediale künstlerische Selbstverständnis, bei dem die Photographie die bildnerische Virulenz seiner Kunstwelten bildet. Zunächst nur photographisch arbeitend, ließ er rasch konventionelle Gebrauchsweisen hinter sich, so wie er sich bald auch das Grenzüberschreitende von Kunstformen nachdrücklich zu Eigen machte.

 

Nicht zuletzt mag dies an seinem Werdegang liegen. 1952 in Wien geboren und seit 1992 in Preßbaum wohnhaft, absolvierte er eine Lehre als Schriftsetzer, die sich in späteren Werken in Form der Auseinandersetzung mit Bibliotheken, den Themen Katalog, Telefonbuch und Texten sowie deren Desemantisierung etwa in der Serie „Shredder“ wieder spiegelt und sowohl als C-Print als auch in Form kleiner Papierobjekte realisiert wurde (1999 zeigte er diesbezügliche Werke in Form einer Installation, unter andrem in der niederösterreichischen Landesbibliothek). Die Photographie begann ihn Anfang der 1970er Jahre zu interessieren. Nach einem mehrjährigen autodidaktischen Aneignungprozess begann er in den 1980er Jahren seine künstlerische Laufbahn, seit 1987 arbeitet er freiberuflich.

 

Es ist die Möglichkeit des Narrativen, die  ihn zunächst am Photographischen zu interessieren begann. Das visuelle Entwickeln und Erzählen von Geschichten verschränkten sich früh mit Formen von Land Art, etwa die Projekte „Carnuntum – Carnac“ (1982), „Venus von Willendorf“ (1984), „Zeit-Spuren“ (1985/86), „Hl. Leopold“ im Wienerwald (1986) oder „Das Geheimnis der Titanic“ (1988), bei denen das Photodokumentarische aktionistischer Handlungen bestimmend war (wie auch in der Arbeit „Burntime“ (1996) auf dem Gut Gasteil.

 

Nicht zufällig im Kontext seiner Land Art-Erfahrungen wurde „Natur“ Mitte der 1980er Jahre ein kontinuierlicher Ort seiner künstlerischen Reflexionen, wo sich Kultur, Kunstgeschichte und Naturgeschichte zu sinnlichen, poetischen aber auch zivilisationskritischen Erzählungen verschmolzen, in denen das Imaginative des Sehens eine wichtige Rolle spielt. „Bäume ohne Schatten“ heißt eine photographische Serie von 1985, die – inspiriert von C.D. Friedrich  – das Waldsterben thematisiert. Hier findet sich auch der Brückenschlag zu seinen Audioarbeiten für das Kunstradio Ö1, wo er ab 1987 immer wieder akustische Werke präsentiert, unter anderem „Aletheia“, das Naturgeräusche als Teil einer Naturlandschaft in Form von Ready Mades präsentiert.

 

Natur als kulturelles und mediales Konstrukt, als Material photographischer Explorationen und Imaginationen bilden einen essentiellen roten Faden in seinem Gesamtwerk. Die umfangreichen Serien „Global Change“ (1992) oder „terraforming“ (1993) simulieren erdgeschichtliche Urszenen. Einen besonderen Aspekt dabei bildet die 1996 entstandene Serie „Horizonte“, die medienanalytisch in fulminanter Weise wahrnehmungsreflexiv das Phänomen Horizont als intraphotographischen Effekt imaginieren und nachdrücklich die Frage nach der (medialen)Wahrnehmbarkeit von Natur und Welt stellt. Beeindrucken auch die seit Ende der 1990er Jahren entstehende Serie „Wildnis“ und die seit kurzem begonnene, noch unveröffentlichte Arbeit „Bonsai-Wildnis“ mit ihrem neusachlich-präzisen photographischen Charakter von Mikro- und Makroperspektiven, die Albrecht Dürers Naturstücke ebenso rezitieren wie die botanischen Konstrukte von Karl Blossfeldt. „Ich verstehe im Medium Photographie die Natur daher nicht bloß als Abbildung, sondern als Parabel für eine geistige Verwandtschaft, deren Bedeutung weit über das Bildliche hinausgeht“, formuliert Robert Zahornicky sein diesbezügliches Medienselbstverständnis.

 

Robert Zahornicky gelingt es die Photographie in ein „all in“-Bildphänomen zu verwandeln und scheinbar mit Leichtigkeit alle möglichen Kategorien von Kunst und Medien hinter sich zu lassen. Lange bevor der Begriff „cross-over“ in den späten 1990er Jahren etabliert wurde, war dies für ihn künstlerische Selbstverständlichkeit. Seine Arbeiten „gründen stets in einem philosophisch und philologisch fundierten, handwerklich soliden und nie den Bezug auf das Fotografische aus den Augen lassenden Forschen nach dem, what images return“, wie Peter Zawrel einmal schrieb.

 

Carl Aigner in der Broschüre zum Würdigungspreis 2014

 

Spuren / Traces

 

In jüngster Zeit ist das Sprechen und das Schreiben über Fotografie in eine Krise geraten. Zumindest sind Zweifel aufgekommen, ob der herkömmliche Diskurs auf gleiche Weise weiterzuführen ist. Sogar ein dermaßen entschiedener Vertreter der Disziplin wie der deutsche Kunsthistoriker Horst Bredekamp plädierte vor zwei Jahren für eine grundsätzliche Erneuerung, als er forderte, dass es einer “visuellen Argumentation“ bedürfe. Gemeint ist, dass die sprachliche Dominanz gebrochen werden müsse, indem zunehmend Bilder in die Beweisführung einzubringen seien. Das Diktum von Günther Wohlfahrt zeitigte also Früchte, nachdem er bereits 1995 erkannt hatte, dass ohnehin das Bild der beste Interpret eines anderen Bildes sei, denn, so äußerte er sich: „mag es auch Antworten in anderen Sprachen geben, die Antwort, nach der ein Bild drängt, ist ein Bild, es ist die Antwort in seiner eigenen Sprache.“

 

Die Unsicherheit, die in der Auseinandersetzung mit Fotografie aufgekommen ist, wird nicht zuletzt deutlich, wenn für den Gegenstand gelegentlich keine oder keine passenden Worte gefunden werden. So ist bislang, um nur ein Beispiel herauszugreifen, nicht entschieden, ob der Terminus „konzeptuelle Fotografie“ oder „konzeptionelle Fotografie“ der treffendere ist. Man werfe nur einen Blick in die einschlägigen Veröffentlichungen – oder einen kurzen in Google –, so werden die beiden Begriffe wechselnd eingesetzt und nicht selten synonym verstanden. Noch prägnanter zeigt sich die aufkommende Irritation darin, dass neue Begrifflichkeiten Eingang gefunden haben, und zwar solche mit bildlicher Ausrichtung. Den fotografischen Kreationen wird immer häufiger mit Metaphern begegnet, also den Bildern Sprachbilder gegenübergestellt. Die Metapher steht auf besondere Weise für den gewandelten Umgang mit der Fotografie, entspricht ihre Eigenart doch jener des Mediums. Wie jedes fotografische Bild weist sie über sich hinaus, verfügt über offene Ränder, wie auch im Foto immer mitgedacht werden muss, dass sich seine Bedeutung erst erschließt, wenn berücksichtigt wird, was sich neben dem, was der Ausschnitt erfasst, befunden und was sich hinter der Kamera abgespielt hat.

 

 Bei der konzeptuellen Fotografie – ich habe mich für diese Version entschieden – verlieren dieses Außerhalb, das Daneben und Dahinter vielfach ihre Bedeutung, indem entweder eine Inszenierung für die beziehungsweise vor der Kamera stattfindet. Oder indem der Bildgegenstand ins Abstrakte überführt wird. Oder seriell gearbeitet wird, also in einer Bilderfolge, im Nacheinander unterschiedlicher Motive das Anliegen anschaulich gemacht werden soll. Robert Zahornicky hat sich all der zur Verfügung stehenden Mittel bedient, allerdings für die Ausstellung hier und heute das Augenmerk – mit einer einzigen Ausnahme – auf ein besonderes Motiv gelegt, an dem er eine bestimmte Fragestellung festmacht.

 

Die Rede ist von natürlichen Erscheinungen, an denen die Relationen von Nähe und Ferne problematisiert werden. Ob der Algenschlamm von so nahe gesehen wird, dass er wie eine Landschaft in einer Luftbildaufnahme wirkt; ob der weit entfernte Horizont sich als Makroaufnahme des Films in der Kamera herausstellt; ob die Kamera unter Wasser eingesetzt wird und auf dem Grunde die Reste der Titanic zugleich mit den Spiegelungen auf der Wasseroberfläche festgehalten sind; ob mit dem senkrechten Blick nach oben in die Baumwipfel zugleich die unendliche Weite des Himmels aufgezeichnet wird; ob die Ultraschallaufnahme des Kindes im Mutterleib zugleich auf die Annäherung an das Ungeborene wie die Entfernung zu dem Unbekannten deutet – in all diesen Arbeiten, die in den 25 Jahren zwischen 1986 und 2011 entstanden sind, wird unser Verhältnis zur Natur angesprochen und Gewissheiten, die auf den äußeren Schein gründen, in Frage gestellt. Zugleich wird auf das Medium reflektiert, seine Möglichkeiten der Darbietung wie der Verfremdung, seine Fähigkeit zu bezaubern und zu täuschen.

 

Um auf die eingangs angeschnittenen Probleme bei der Interpretation und Bewertung von Fotografie einzugehen, zitiere ich nun einen von Robert Zahornicky 1995 in der Wiener Zeitung wiedergegebenen Satz, der auf ebenso präzise wie einleuchtende Art den Standpunkt des Künstlers deutlich macht – er lautet „Der Mensch steht nicht außerhalb der Natur, er ist vielmehr ein Teil der Natur. Folglich ist jede Reflexion des Menschen über die Natur eine Reflexion über sich selbst.“ Dieses Formulierung finde ich deshalb so bezeichnend, weil sie – ohne in Metaphern auszuweichen – nicht nur eine Ansicht pointiert wiedergibt, sondern auch den Reflexionsgrad ihres Autors verrät und mit der weitgefassten Definition von Natur deutlich macht, dass auch das fotografische Tun darunter zu subsumieren ist – oder, um dem doch eine metaphorische Wendung zu geben – dass die Lust am fotografischen Wirken zur zweiten Natur von Robert Zahornicky geworden ist.

 

Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Foto-Raum von Timm Starl, 2012

 

Scheinbar und in Wahrheit seiend

 

Am schnellsten aber wirst du wohl, wenn du nur einen Spiegel nehmen und

den überall herumtragen willst, bald die Sonne machen und was am Himmel ist,

bald die Erde, bald auch dich selbst und die übrigen lebendigen Wesen und

Geräte und Gewächse und alles, wovon nur so eben die Rede war.

Ja scheinbar, sagte er, doch nicht in Wahrheit seiend.

 

(Platon, der Staat, zitiert nach Victor Stoichita, Eine kurze Geschichte des Schattens, München 1999, Seite 24)

 

„Scheinbar doch nicht in Wahrheit seiend“: So beschreibt Sokrates‘ Dialogpartner in Platons Politeia bildhafte Darstellungen von verschiedenen natürlichen und künstlichen Dingen, die von der Realität selbst zu unterscheiden sind. Diese Abbildungen werden mit Hilfe eines Spiegels vom Menschen gemacht und lassen aus heutiger Perspektive sofort an Fotografien denken. In dieser Passage verwendet Platon an zentraler Stelle das griechische aletheia, wörtlich ‚Das Unverborgene‘, das sich in der Philosophie als Wahrheitsbegriff etabliert hat. Wahr ist, was real vorhanden ist und Objektcharakter besitzt, nicht jedoch als gespiegeltes Bild seinen Ausdruck findet. Synonym mit ‚Wirklichkeit‘ macht Platon mit dem Begriff aletheia eine Polarität zwischen Sein und Schein auf, die bis in die Gegenwart in der Mimesistheorie ihr Fortleben findet.

 

Mit Aletheia ist auch eine Audioarbeit von Robert Zahornicky betitelt, die uns verschiedene in einem Flusslauf aufgenommene Naturgeräusche zu hören gibt: das Plätschern des Wassers, das Zwitschern der Vögel, das Rascheln des Laubs. Hier verwendet Zahornicky einmal nicht das Licht, um ein Spiegelbild unserer Welt zu geben, sondern die Tonebene. Wie auch in seinen fotografischen Arbeiten folgt er hier dem Prinzip, dass er auf bereits Vorhandenes als Material zurückgreift, um damit seinen Vorstellungen gemäß ein Bild zu schaffen, das vom Betrachter ein genaues Zuhören bzw. Hinsehen erfordert und diesen mitunter auch auf die falsche Fährte lockt.

 

Die prekäre Beziehung zwischen Wirklichkeit und fotografischem Abbild ist damit eine der maßgeblichen Leitlinien im Werk von Robert Zahornicky. Ein Großteil seiner Serien beruht auf einem ausgeklügelten Konzept, bei dem sich die Verwendung von Realitätsfragmenten und die eigene Bearbeitung des Vorgefundenen kongenial ergänzen. Die Darstellung von Welt (Abb. 1) ist dabei immer von einer eminent fotografischen Denkweise geprägt und folgt in ihrer Aufzeichnungsform einem apparativ gerichteten Blick, der die medialen Bedingungen der Fotografie nie außer Acht lässt. Eine besondere Rolle spielt dabei das fotografische Material selbst. Zahornickys Reflexion der uns umgebenden Wirklichkeit macht auch nicht vor der Analyse des Fotomaterials, das ihm als künstlerische Grundlage dient, Halt. Die Frage nach der Einschreibung einer Sache auf der lichtsensiblen Oberfläche in Zusammenhang mit seiner Form der Darstellung gehört zum Kern von Zahornickys Werk.

 

Wie Platon in der zitierten Stelle aus Der Staat alles Lebendige und Künstliche, das sich in der Luft und am Boden befindet, als potentiell Abbildungswürdiges nennt, so dienen auch Zahornicky Natur- und Kulturobjekte gleichermaßen als Material. Seine künstlerische Strategie beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Wahl eines konkreten Objektes, das er sodann fotografisch aufzeichnet, sondern schließt konzeptuelle Überlegungen und Eingriffe mit ein. Damit führt er eine künstlerische Linie weiter, die Materialien des Alltags und der Kunst, konkrete und ideelle Materialien einer Bearbeitung zuführt, wie es auch Monika Wagner als wegweisend für die Verwendung des Materials in der Moderne definiert: „[…] Material als ein Begriff, der sich erst in der Neuzeit aus dem der Materie herausgelöst hat, bezieht sich keineswegs nur auf feste Stoffe. Schon im frühen 18. Jahrhundert bezeichnete man damit alles, was dem Künstler oder Handwerker durch Kopf- oder Handarbeit zur Weiterverarbeitung diente.“

 

Natur/Eingriffe: Zunächst spielt die Natur als Materiallieferantin eine wesentliche Rolle im Werk von Robert Zahornicky. Natur ist ständig im Überfluss vorhanden und bietet sich uneingeschränkt dem individuellen Zugriff dar. Am Beispiel der Natur lässt sich auch am deutlichsten zeigen, wie sich Zahornicky mit Realität befasst und diese seinen künstlerischen Eingriffen unterzieht. In seiner Serie Wildnisse werden Pflanzen – wie etwa Farne – samt ihrem Wurzel- und Erdreich mit dem Spaten ausgestochen und in die Künstlichkeit des Ateliers verpflanzt, wo sie eine neue Form von Wirklichkeit hervorbringen. Auch die Pflanzen in seinen Fotogrammen bilden den Schatten der Blätter, Blüten und Stängel nicht einfach nur ab, sondern dienen Zahornicky als Ausgangsmaterial, um damit ein bestimmtes Bild zu schaffen – sei es durch das leichte Bewegen der Objekte auf dem Fotopapier oder durch das zwei- bis dreimalige Belichten bei gleichzeitigem Austausch der Gegenstände. Einmal kommt es dadurch zu einem flirrenden Eindruck der Blätter, die sowohl ein zeitliches als auch räumliches Moment evozieren, ein andermal ist ein Bild, das Objekte im Zusammenspiel von unterschiedlich graduellen Weiß-, Grau- und Schwarztönen zeigt, das Resultat. In Burntime  (Abb. 2) bleibt der Rasen gleich dort, wo er ist – hier dient die Sonne, die durch das Auflegen einer Schablone den Schriftzug mit der Zeit in die Wiese hinein brennt, als Belichtungsinstrument. Auch in den Aquagrammen der Serie Autopoeisis (hier handelt es sich um kameralos entstandene Belichtungen des Fotopapiers in der Entwicklerschale) ist die Bildwirklichkeit bereits vorhanden – sie muss nur noch durch den Künstler zum Vorschein gebracht werden.

 

Kultur/Bearbeitungen: In Bezug auf Themen und Motive aus dem Bereich der Kultur fällt die Vorliebe Robert Zahornickys für Papierobjekte und Schriftstücke auf. Zunächst ist es – entsprechend seiner kontinuierlichen Befragung des fotografischen Materials – das Fotopapier selbst, das er in seinen Backrohrpolaroids einem Stresstest unterzieht. Polaroids von fragmentierten Frauenakten verändern markant ihr Oberfläche, indem sie extremer Hitze ausgesetzt werden: Der SX-70-Film bekommt Sprünge und Risse, wodurch Assoziationen zum Krakelee eines alten Ölbildes hervorgerufen werden. Einem völlig veränderten Blick bieten sich die Objekte, die der großangelegten Serie Shredder zugrunde liegen, an. Bücher, Zeitschriften und alle anderen denkbaren Papiere werden zunächst durch den Papierwolf gezogen, bevor die Schnipselmasse als undurchdringbares Dickicht bzw. in den Sarkophagen als gepresster Block fotografiert wird. Diese Arbeiten verstehen sich als weitreichende Reflexion zum Thema Inhalt und Form: Wie verändern sich Alltagsobjekte dadurch, dass sie ihren herkömmlichen Zustand ablegen? Bei Robert Zahornicky geht mit der Veränderung von Dingen jedenfalls immer das Darbieten einer neuen Sichtweise einher. Auch bei den neuesten Arbeiten aus der Serie Double Vision ist die Umkehrung des gewohnten Blicks gegeben: Hier treffen zwei Bilder scheinbar unbegründet und zufällig aufeinander und ergeben einen neuen Sinn. Was zunächst eine digitale Montage oder das gleichzeitige Belichten von zwei Negativen in der Dunkelkammer vermuten lässt, beruht jedoch in Wirklichkeit auf dem viel einfacheren Durchlicht-Phänomen, das in der synchronen Recto- und Verso-Darstellung von einzelnen Zeitschriftenseiten einen neuen Blick auf dieses Medium ermöglicht.

 

Dazwischen/Spuren: In seinen frühesten Arbeiten aus den 1980er Jahren geht Robert Zahornicky noch von einer Symbiose von Natur und Kultur aus. Diese narrativen Bildsequenzen sind von Ironie und Witz geprägt – wie im Übrigen Zahornicky überhaupt der Schalk im Nacken zu sitzen scheint (Abb. 3). Der dokumentarischen Aufzeichnung geht ein Aktionismus voran, der meist eine Spurensuche bzw. Spurensicherung zum Inhalt hat. In den Aktionen der Zeit-Spuren sind es wieder Sofortbilder, die im Fokus stehen. Diesmal interessiert die Veränderung des Materials, das für die Dauer eines Jahres in der Erde vergraben bzw. der Witterung ausgesetzt wird, in Zusammenhang mit der Alterung der darauf abgebildeten Personen in realiter. In Die letzte Reise der Venus von Willendorf gräbt sich die aus dem Naturhistorischen Museum befreite Kultfigur an ihrer Fundstelle ihr Grab als letzte Ruhestätte selbst; ihr letzter Weg wird von Zahornicky fotografisch genau dokumentiert. Diese frühen Serien scheinen bereits ein augenzwinkernder Kommentar zum Verhältnis von Fotografie und Wirklichkeit, wie es Robert Zahornicky in seinem Gesamtwerk praktiziert, zu sein. Bei ihm gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen Realität und Abbild; wahr ist vielmehr immer das, was vom Subjekt des Fotografen gesehen und behauptet wird – sobald es sich in die Bild-Wirklichkeit einschreibt.

 

 Rede zur Werkschau Robert Zahornicky in der Fotogalerie Wien, Christina Natlacen, 2012

 

Fotografie der Natur, Natur der Fotografie

 

„Der Mensch steht nicht außerhalb der Natur,

er ist vielmehr ein Teil der Natur.

Folglich ist jede Reflexion des Menschen über die Natur

eine Reflexion über sich selbst.“

 

(Robert Zahornicky, in: Wiener Zeitung, 10. November 1995, Extra, S. 16)

 

Es ist ein weiter Begriff von Natur, dem Robert Zahornicky anhängt. Erde und Wasser, Licht und Gewächse gehören ebenso zu ihr wie der fotografische Film, die menschliche Wahrnehmung und die Aufzeichnung aller Erscheinungen mit künstlerischen Mitteln. Entsprechend ist ihm Natur wahlweise Motiv, Aktionsfläche, Material, thematischer Hintergrund, Vorbild. Natur birgt zugleich Frage und Antwort, liefert die Ideen und den Stoff der Darstellung. Um ihr nahe zu kommen, bedient er sich der Mittel der Dekonstruktion: kurze Distanz, die sich als Weitsicht geriert; Zerstückelung, die neue Setzungen ermöglicht. Damit werden die besonderen Dispositionen der Fotografie genutzt und konzeptionell eingesetzt.

 

Auf dem Bauzaun um das Brooklyn Museum in New York ist unter anderem der aufgemalte Hinweis angebracht: „End Construction Begin Art“. Die Aufnahme bildet das Frontispiz der Publikation zur Ausstellung „Spuren. Traces“. Man mag die Ankündigung als augenzwinkernde Äußerung verstehen, die vor dem Hintergrund einer berühmten Institution darauf abhebt, dass erst nach Nennung von Autor und Titel die Kunst ihren Platz findet. Oder dass jeder Abschluss fiktiv bleibt, weil er immer wieder zu neuen Ansichten führt. Oder man sieht die Formulierung als Selbstreflexion eines Konzeptkünstlers, der die Trennung von Idee und Verwirklichung, Konstrukt und Kunst nicht akzeptiert. Auch könnten die besserwisserischen Zumutungen mancher Interpreten aufs Korn genommen sein, die meinen, die Fotografie sei eine Unterabteilung der Kunst. Wie auch immer: Andeutungen verleiten zu vieldeutigen Auslegungen. Zahornicky liebt das Geheimnis, von dem er selten mehr als einen Zipfel lüftet.

 

Der Bruch zählt zu den Begriffen mit zahlreichen Bedeutungen. Gebrochen sein kann das Licht, der Knochen, eine Beziehung, ein Zweig, das Eis, das Glas, ein Gesetz, eine Zahl, das Herz. Brüche finden sich zudem in Argumentationen und Bildserien. Sie können aber auch in einer einzigen Fotografie auftreten. Gemeint ist nicht (allein) der Sprung in einer Negativplatte, der sich in der positiven Wiedergabe abzeichnet. Sondern bei jeglicher Verwendung von Spiegeln treten Brüche auf, wenn beispielsweise eine Person oder ein Gegenstand zugleich in der frontalen und einer seitlichen Ansicht zu sehen sind. Oder wenn die Kamera gegen eine reflektierende Glasscheibe gerichtet ist und damit ebenso sichtbar wird, was sich vor dem Objektiv wie hinter dem Fotoapparat befindet. In solchen Aufnahmen entfalten sich zwei Räume, die in der Wirklichkeit nicht gleichzeitig in aller Deutlichkeit zu erfassen sind. Weil entweder die Blickrichtung geändert oder der Blick neu fokussiert werden muss, um des Originals und der gespiegelten Wiedergabe ansichtig zu werden.

 

1986 und 1987 ist Zahornicky dem „Geheimnis der Titanic“ nachgegangen. Als wären Relikte der Katastrophe auf tiefem Grund erhalten geblieben, sind Fotos, das Werkzeug eines Schriftsetzers, ein Plastikbecher, eine zerbrochene Schallplatte, ein Ausweis ins Bild gesetzt. Bei den Unterwasseraufnahmen in bis zwei Meter Tiefe zeichnen sich am Untergrund einige helle Stellen ab. Es handelt sich um das Sonnenlicht, das auf der leicht bewegten Wasseroberfläche gebrochen wird. Über die raue Landschaft des Bodens haben sich die Schlieren von Lichtreflexionen gelegt. Die Gegenstände unter Wasser sind durchaus gleichzeitig mit den Spiegelungen an der Oberfläche wahrzunehmen – doch eines der beiden taucht immer nur undeutlich im Augenwinkel auf.

 

Analog der vielfältigen Verwendungsmöglichkeit des Wortes Bruch kann der Terminus Abstand einmal eine räumliche Entfernung, das andere Mal die innerliche Distanz zu einer Sache meinen. In der Fotografie entspricht die Nähe der Kamera zu ihrem Objekt meist zwangsläufig dem Eindruck, den das gewonnene Bild hervorruft. Allerdings wurden im Laufe der Zeit alle möglichen optischen Mittel entwickelt und Einstellungen der Kamera praktiziert, um die tatsächliche Entfernung zu verschleiern und die Gegenstände oft auch unkenntlich zu machen. So gelingt es bei Tele-, Makro- und Mikrofotografien ohne weiteres, die realen Gegebenheiten vor dem Objektiv lediglich als grafische Muster darzustellen.

 

Dem Algenschlamm, der sich an seichten Ufern bildet und je nach Strömung und Windstärke archaische Muster hervorbringt, ist Zahornicky 1992 ganz nahe gegangen. Doch der Betrachter von „Global Change“ meint, aus großer Höhe ein unbewohntes, teilweise zerklüftetes Gelände zu erkennen, das in seiner Mitte ein lang gestrecktes Gewässer beherbergt. Als würde man über ein riesiges Felsmassiv schweben. Auch die Bodenformationen in „terraforming“ aus dem Jahr 1993 wirken wie großräumige Gesteinslandschaften und sind doch nur wenige Meter über dem Boden aufgenommen. Und in den Bildern der Serie „Horizonte“ von 1996 berühren sich anscheinend Himmel und Erde. Als würde sich die Silhouette eines ausgedehnten Waldes im Gegenlicht abzeichnen. Tatsächlich hat sich nichts als das Licht in dem Film eingeschrieben, dem dieser direkt in der Kamera ausgesetzt worden ist. Die Konturen des Waldes sind nichts anderes als die Härchen, die sich am Schlitz der Filmpatrone befunden haben.

 

Auch der Horizont kennt zwei Bedeutungen. Er steht für eine sichtbare Grenzlinie und markiert den Rand unseres Blickfeldes, wie er auch die Ausdehnung des Wissens und der Erinnerung jedes Einzelnen bezeichnet. An ihn stoßen die Sehkraft und die Erkenntnis, er entspricht der Schnittlinie zwischen dem, was erfasst werden kann, und dem, was darüber hinausgeht. Seinen Blick träumerisch auf ihm haften zu lassen, vermag – man denke an Sonnenauf- und -untergänge –, ebenso ein ästhetisches Vergnügen zu bereiten, wie das gedankliche Flanieren an seinen Rändern ein intellektuelles Vergnügen bietet.

 

In jüngster Zeit hat Zahornicky einen neuen Weg gefunden, Nähe und Ferne zugleich ins Bild zu setzen. Dazu ist er in den winterlichen Wald gegangen, stehen geblieben und hat in den Himmel geblickt. Er sieht nichts als Äste, die ihre Blätter verloren haben. Manche Baumspitzen bewegen sich ganz sachte, wenn der Wind über sie streicht. Der Vorgang wird fotografisch wiederholt: Ein Stativ wird aufgestellt und die darauf montierte Panoramakamera senkrecht nach oben gerichtet. Mit dem Druck auf den Auslöser bewegt sich das Objektiv, bis es einen Winkel von 140° erfasst hat. Dabei entsteht auf dem Film ein Bild in den Maßen 24 x 60 mm.

 

Die Ansichten, die sich niederschlagen, entsprechen nicht den Blicken, die der Fotograf auf seine Umgebung geworfen hat. Das kalte Auge der Apparatur verfügt über einen anderen Gesichtskreis und eine andere Auffassung als die Sehorgane des Menschen. So wird an den Rändern des Ausschnitts noch jede Kleinigkeit genau registriert, während unsere Sicht immer stärkere Unschärfen aufweist, je mehr wir einen Punkt fixieren. Vor allem aber täuscht die Fotografie über die Natur und den Eindruck der Dinge, die bloß als Silhouetten wahrgenommen werden. Die sich zur Mitte der Aufnahme rankenden Baumwipfel mögen dem Betrachter wie eine Kuppel erscheinen, die sich schützend über ihn wölbt. Doch im Blick auf das Zentrum eines Bildes entfaltet sich zugleich eine Sogwirkung in anderer Richtung, die uns gewissermaßen in den Himmel fallen lässt.

 

Die Fotografie bemächtigt sich der natürlichen Erscheinungen, indem sie diese der eigenen medialen Natur ausliefert.

 

Timm Starl in „Art This Way“, Wien 2017, Seite 24 ff

 

Zwischen Sinnlichkeit und Reflexion

 

Die vorliegende Publikation enthält Beispiele aus 8 Werkgruppen, die inzwischen abgeschlossen sind und sämtliche im analogen Verfahren als schwarz-weiße Aufnahmen in Handabzügen als Vintages oder Modern Prints vorliegen. Sieht man von der ersten, übrigens umfangreichen Serie mit dem Titel „Spuren der Vergangenheit“ aus dem Jahr 1985 ab, mit der die Ausstellung und die Publikation einsetzen, die stärker eine konzeptuell sich orientierende Leseweise vorgibt, so spielen für die seither entstandenen Bildfolgen andere Ideale eine Rolle, worunter das Licht eine wesentliche Funktion besitzt. Erlaubt die Dialektik von Schwarz und Weiß – der Photograph entscheidet sich für diese traditionsreiche Produktionsform – einen Hinweis auf Licht und Dunkelheit vor allem den Schatten und die Nacht, aber auch das Wesen der Photographie als „Lichtbildnerei“ selbst, so ist das Ergebnis dieser Aufnahmen auch ein Exerzitium an taktilen Strukturen, sei es, dass sie von der Natur, der Stadtlandschaft, den kulturellen Manifestationen (Grabsteinen) etc. herrührten.

Ich scheue mich also davor dieses Werk dokumentarisch zu nennen, wie dies vorher gemacht wurde, ich würde auch den moralischen Aspekt (Waldsterben, Vanitasideen, Licht als Hoffnungsmetapher etc.) in den Hintergrund schieben. Zahornicky hat an den jeweiligen Orten, die er nicht selten als Stipendiat für kurze Zeit bewohnte (Paris, New York, etc.) oder als Ausflügler und Tourist kennenlernte, das Ambiente für seine strukturelle Recherche benutzt, das Licht besonders in den extremen Situationen der Nacht (künstliches Licht) studiert. Sieht man von der Ironie in „Spuren der Vergangenheit“ ab, der Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit (Publikationen, die die Protagonisten der Wiener Kunst und Photoszene in den Händen halten und die sie selbst auswählen – zur Selbstcharakteristik?) ist sein Werk lyrisch und voller „Poesie“ in des Begriffes reinster Bedeutung. Der Mensch taucht nicht mehr auf, vielleicht als romantische Rückenfigur (Bäume ohne Schatten).

 

In „Spuren der Vergangenheit“ bezieht sich der Künstler auf die Angewohnheit von Entführern ihre Opfer mit einer aktuellen Tageszeitung abzulichten, jedoch auch zu dokumentieren, dass sie noch lebten. In Zahornickys Panorama der Brustbilder verschränkt er die real existierenden Protagonisten des Wiener Kunst- und Photobetriebs mit Dokumenten der Vergangenheit, die Aufschluss geben über Neigungen, Interessen und Haltungen. Gemäß eines Diktums von Walter de Maria, den der Künstler zitiert, sei nicht die Sache an sich wesentlich, sondern die Vorstellung von ihr – eindeutig eine der konzeptuellen Kunst verpflichtete Äußerung. In „Granary Burying Ground, Boston“ konfrontiert der Künstler den Betrachter nicht mit der Vorderseite der Grabsteine, sondern mit der grob behauenen Rückseite, Dokumente der Geschichte wie der Schriftteil, der Aufschluss gibt über die hier Begrabenen wie auch die Zeit aus der diese Steine in einem der ältesten Friedhöfe der Vereinigten Staaten stammen. Was mit diesem Gedankengang einhergeht, der sich beim Betrachter einstellt, ist auch das ästhetische Gefallen an der abstrakten Struktur, wie wir sie auch bei den Aufnahmen aus Norddeutschland (Terraforming 1992) registrieren.

 

In den Aufnahmen aus Paris (Primal Light, Jour et Nuit 2004) wandelt er auf den Spuren von Brassai, in Paris, der Stadt des Lichts, in der das Licht niemals erlöscht, in der er die Ecken der Stadt nicht ausleuchtet, sondern dem Licht auf der Spur ist.

 

Die Qualität von Robert Zahornickys Werk liegt darin, dass er die fundamentalen Parameter der Lichtbildnerei „Licht und Zeit“ ernst nimmt, als fundamental ansieht, dass seine Arbeiten unterschiedlichste semantische und semiotische „Layers“ aufweisen, wie sie ein gutes Gedicht ebenfalls besitzt, welches abstrakt und konkret zugleich ist, narrativ, aber eine lineare Erzählung verweigernd, symbolisch aber auch lapidar, faktisch. Wollte man seine Haltung mit einem amerikanischen Photographen vergleichen, so fiele mir nur Robert Adams ein.

 

Peter Weiermair im Katalog „Im Dunkel der Nacht Licht", NÖ Gesellschaft für Kunst und Kultur, St. Pölten 2012

 

What images return

 

Quis hic locus, quae regio, quae mundi plaga?

 

(Seneca, Hercules Furens V, 1138)

 

Treffender als Timm Starl hat noch niemand den Charakter Robert Zahornickys in einem beiläufigen Nebensatz (über den Horizont) erfasst: „wie das gedankliche Flanieren an seinen Rändern ein intellektuelles Vergnügen bietet“.

 

Das intellektuelle Vergnügen von Robert le flaneur geht über alle Kunstspartengrenzen hinweg, es nährt sich aus dem Handwerklichen genauso wie aus dem Musikalischen, dem Litteralen und dem Visuellen, es speist sich aus allen Sinnen und bedient alle Sinne.  Überrascht es, dass dieser schnell denkende und ungern redende eine Ausbildung genossen hat, die einst zur Aufnahme in eine Elite befähigte? Den Beruf des Schriftsetzers gibt es nicht mehr. Zahornicky ist frühzeitig anderen Berufungen gefolgt.

 

Am bekanntesten ist er als Fotokünstler geworden. Beim Flanieren entlang fotografischer Horizonte gerät er aber immer wieder in Terrain, wo man mit Senecas gestrandetem Herkules ausrufen möchte: „Was für ein Ort ist das, welches Land, welcher Himmelsstrich?“1 Als wir 1991 die Ausstellung „Autopoiesis“ vorbereiteten, hat Robert mir dieses Zitat, das er in T.S. Eliot’s Poem „Marina“ gefunden hatte, als Motto für meinen Katalogtext nahegelegt. Ich wählte stattdessen einen Satz aus Stanislaw Lems „Solaris“. Vielleicht hätte ich aber schon damals bei Eliot weiterlesen sollen, denn ein paar Zeilen weiter heißt es „what images return“; nicht als Frage mehr, sondern als Feststellung, somit doppeldeutig; poetisch, nicht dramatisch wie bei Seneca.

 

Poetisch doppeldeutig im Sinne von „what images return“ ist alles, was Zahornicky macht. Seine bislang sechs Beiträge zum „Kunstradio“ von Ö1, mit dem Heidi Grundmann und der ORF seit 1987 Radiogeschichte schreiben, sind Pretiosen ihres Genres.2 Seine Landart, allen voran das lichtbildnerische „Burntime“ (1996, Gasteil), die Statements im Stadtraum (museum in progress Wien, 1994) oder in Printmedien (1995) und seine installativen, medienübergreifenden Projekte („catalogo“, 1995-1999) gründen stets in einem philosophisch und philologisch fundierten, handwerklich soliden und nie den Bezug auf das Fotografische aus den Augen lassenden Forschen nach dem, what images return.

 

Wenn man nun aber als Betrachter oder Zuhörer seiner Werke sanft dazu genötigt wird, sich mit Leonard von Pisa (genannt Fibonacci), mit botanischen Ungereimtheiten, Rhizomen und Fraktalen oder mit chilenischen Neurophilosophen zu befassen oder einfach nur endlich einmal T.S. Eliot zu lesen: es ist immer auch ein Augenzwinkern dabei, eine Zufälligkeit, ein romantischer Nebeneffekt, der sich aus einer unbeabsichtigt erscheinenden Beiläufigkeit ergeben hat, die sich bei genauerem Hinsehen vielleicht als Hauptsache entpuppt.

Davon ist auch die ästhetische Form nicht ausgenommen. Formate ergeben sich z.B. aus dem Umstand, dass von einer anderen Arbeit Fotopapierreste übrig bleiben, und da Zahornicky mit Ressourcen sorgfältig umgeht, sieht er diese Reste als formativen Imperativ  (Pflanzen-Fotogramme, 1988); Radioformate ergeben sich aus einer von äußeren Umständen vorgegebenen Wegstrecke („Alitheia“, Kunstradio 1993; „Take the A-Train“, Kunstradio 2008), also in seinem Verständnis aus der Natur.

 

Ein frühes Werk, mit dem Zahornicky Aufsehen erregte, war „Puzzle“ (1984). Dass sich die Re-Konstruktion der portraitierten Frauen aus Fragmenten unterschiedlich (un)bekleideter Körperteile (auch) als humorvolle Dekonstruktion damaliger feministischer Diskurse lesen lässt, blieb der damals herrschenden Ernsthaftigkeit verborgen. Einige Jahre später – Zahornicky trat in den Ausstellungen der Künstlergruppe „cult“ vorwiegend als Konzeptkünstler in Erscheinung – kommentierte er die Fotografie einer subkutan auf den Holocaust Bezug nehmenden Installation aus Kleiderstücken mit dem rumänischen Sprichwort „Alle lügen, aber das Gegenteil von dem, was sie sagen, ist nicht die Wahrheit“. In diesem Sinn fordert Robert Zahornicky mit jedem seiner Werke aufs Neue ein, sich zu vergewissern wo wir sind, in welchem Land, unter welchem Himmel.

 

Peter Zawrel in in „Art This Way“, Wien 2017, Seite 32

 

Art this Way

 

Inhaltliche wie formale Vielgestaltigkeit kennzeichnen das fotografische Werk von Robert Zahornicky. Durchaus risikoreich, und nicht ausschließlich auf den autonomen Werkcharakter zielend, eröffnen seine Experimente ein Bezugsfeld, das von konzeptionellen Materialbildern, aktionistischen Inszenierungen, Objektinstallationen, Video- und Audioarbeiten bis hin zu Kunst im öffentlichen Raum reicht. Die Initialzündung sich an der bildenden Kunst zu orientieren – und dem Hauptberuf des Schriftsetzer zu entsagen - kam während den turbulenten späten 70er Jahre mit deren diversen Performance-Festivals (Internationale Performance Festival Wien und Graz, 1978) und den daraus resultierenden  Künstlerkontakten (Peter Weibel, MarinaAbramović), die alle samt den Vorstellungen traditioneller Kunstproduktion entsagten.

 

Der freie Kurator Hartwig Knack widmet nun dem vielfältigen Œuvre des Künstler eine umfassende Werkmonographie: Exemplarisch werden die einzelnen Werkserien vorgestellt, und die einzelnen Essays ermöglichen in Kombination von umfassenden Bildteil einen subtilen Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen Bedeutungsebenen von Zahornickys umtriebiger Kunstpraxis. Eine schelmische Entweihung ästhetischen Repräsentationsbestrebens in Form einer fotografisch-archäologischen Spurensuche betreibt dieser, der letztendlich nach den Strukturen und Beziehungen von Mensch, Natur im gesellschaftlichem Gefüge fragt.

 

Uwe Schögl im Eikon 100/2017, Seite 91